Die Qualität der Langsamkeit

Jun 5, 2017

Als ich meine Lehrerin Chameli Ardagh vor kurzem sagen hörte, dass sie sich als die Hüterin der Langsamkeit betrachtet, wurde ich still und nachdenklich.

Hüterin der Langsamkeit

Es ist eine Qualität, die in unser Kultur und Gesellschaft wenig Anklang findet, wo die Werte „mehr, schneller, besser“ dominieren und es sehr schwierig ist, sich dem zu entziehen. Langsamkeit hat irgendwie einen negativen Beigeschmack, so wie ungeduldig, faul, langweilig, dumm…

Unter Freunden galt ich jeher als „Hibbel“, und Langsamkeit daher etwas, das ich immer wieder neu für mich entdecke. Ich wünsche mir mehr davon, gleichzeitig hat es mich oft unsicher und nervös gemacht – wenn scheinbar nichts passiert.

Dann las mir meine Freundin kurze Zeit später einen Artikel über die Verwandlung gesellschaftlicher Fremdzwänge in Selbstzwänge vor. (Hans-Albert Wulf) Hier wurde erklärt, wie uns durch die kapitalistische Ökonomie eine unnatürliche Zeitdisziplin aufgezwungen wurde. Exakt aufeinander abgestimmte Prozesse mussten eingehalten und die innere Uhr des Menschen auf wirtschaftliche Erfordernisse umgestellt werden. Verständlich, dass damit viel Zwang, Widerstände und Schmerz einherging. Die Arbeitsabläufe waren bis dahin von der Natur bestimmt, und plötzlich wurde die Zeit neu definiert, der äußere Zwang mit der Zeit zum Selbstzwang verinnerlicht – und heute definiert diese unnatürliche Zeittaktung unser Leben ohne dass wir uns dieser Zusammenhänge bewusst sind.

Da bekommt Hüterin der Langsamkeit nochmals eine neue Bedeutung für mich.

Ich denke es ist allerdings auch Teil des Älterwerdens, Zeit und Langsamkeit neu zu betrachten und zu erkennen, dass es im Leben nicht nur darum geht, zu TUN (möglichst viel noch dazu) und die Sklaven dieser erlernten Haltung zu sein.

Wenn wir langsamer werden, können wir auch wieder mehr fühlen. Uns selbst, andere Menschen, das Leben mit seinem eigenen Rhythmus, genau wie die Erde. Was, wenn das Leben nur auf uns wartet, bis wir endlich wieder eine Beziehung mit der Langsamkeit und ihrem ureigenen Zyklus aufbauen? Kennen wir Frauen diese Rhythmen und Zyklen nicht besonders gut?

Dazu gehört Geduld und Vertrauen, dass das Leben durch uns wirkt, auch wenn wir angeblich nichts „tun“. Es ist genau andersrum, als wir es gelernt haben: Wenn wir aufhören, so schnell zu sein und beginnen langsamer zu werden, dann können wir viel mehr wahrnehmen und auch feststellen, dass jede Menge passiert, nur eben nicht die Agenda in unserem Kopf oder die Erwartungen von innen und außen. Dafür aber auf einer viel tieferen Ebene, die uns eine neue Beziehung zu uns selbst erlaubt und sich ausdehnt auf unsere Beziehung, Sex, Beruf, Kinder, unser Umfeld und die Zufriedenheit in unserem Leben.

 

Alles hat seine eigene Zeit, ein eigenes Tempo.

Die Natur zeigt uns wie es geht. In der Natur spüren wir, dass alles ruhiger und stiller ist, Pausen hat und einem Kreislauf folgt. Wenn wir still auf der Erde liegen und die Bäume betrachten, können wir den Puls der Erde spüren. Alles was geschieht, entsteht aus sich selbst heraus – und nicht aus Druck, Stress oder Anspannung und externen Anforderungen. Wenn wir in Einklang mit dem natürlichen inneren Rhythmus sind, dann lernen wir wieder zu entspannen.

Das bedeutet aber auch, Kontrolle loszulassen und zu erlauben, dass ab und zu eine Leere entsteht, aus der Impulse, Ideen, Einsichten deutlich werden, die nur darauf warten, dass wir langsam genug werden sie zu (emp-) fangen.

Langsamkeit bedeutet aber nicht, dass wir nicht auch schnell und aktiv sein können. Es geht mehr darum, uns überhaupt bewusst zu werden, wie wir die Dinge tun, die wir tun, und ob wir bewusst leben oder eher eine Todo Liste abarbeiten.

Es ist nicht einfach in unserem Alltag mehr Langsamkeit einzubauen. Aber kleine Momente, Inseln, Erinnerungen daran tun schon gut. Mein Handy erinnert mich alle drei Stunden daran, eine Pause zu machen, zu atmen, wieder aus dem Kopf in meinen Körper zu kommen, meine Gefühle zu fühlen, meine Gedanken zu hören, den Moment zu erleben und mich dann wieder neu auszurichten und zu fokussieren. In diesen Momenten können wir dem Leben mit Staunen begegnen, das Wesentliche wahrnehmen und die Magie und die Schönheit entdecken.

Jedenfalls habe ich bemerkt, dass auch das Langsam Werden Zeit braucht und langsam geht! Doch ich möchte die Langsamkeit in mein Leben integrieren, die Wertschätzung und Präsenz die damit einhergeht in mein Umfeld bringen. Denn ich spüre dadurch immer deutlicher, dass Zeit relativ ist, und gleichzeitig mehr Entspannung, Lebendigkeit, Lebenslust möglich.

 

Was bedeutet Langsamkeit für dich und wie viel Raum gibst du ihr in deinem Leben?