Eine besondere Begegnung

Aug 19, 2018

Als ich ankam, war die Tür offen. Ich blieb stehen und lauschte hinein. Er schlief. Und schnarchte dabei leise. Ohne ihn wecken zu wollen, atmete ich erst einmal mehrere Male ein und aus, bevor ich dann hineinging, meinen Mantel und Mütze auszog.

Ich ging langsam in Richtung Besucherstuhl, der neben seinem Bett stand, und als ich am Fußende seines Betts vorbeikam, öffnete er die Augen und schaute mich an.

Er begrüßte mich, wie immer, mit einem: „Guten Tag, bitte setzen Sie sich.“ Seine Stimme war schwach, brüchig, nicht mehr so kräftig wie einst. Es war mehr ein Flüstern. Er hob mühsam seine Hand, um sie mir zu reichen. Ich kam nahe heran, nahm sie in die meine, weich, fest und warm fühlte sich seine Hand an. Er ließ meine nicht los. So setzte ich mich und hielt seine dabei Hand. Er schloss die Augen wieder, erschöpft, müde. So saß ich, wachte an seiner Seite, seine warme Hand mit meiner verbunden. Ich schaute ihn an, seine langen gepflegten Hände, an denen die Adern deutlich zu sehen waren. Sein Brustkorb unter dem grünen T-Shirt, der sich langsam hob und senkte, manchmal mit kleinen Aussetzern nach dem Ausatmen. Sein Gesicht, fein und wo die Wangenknochen hervorkamen, der Mund leicht geöffnet, die Augen fast geschlossen.

Es war still, so zart die Stimmung im Raum, trotz der noch geöffneten Tür zum Flur. Ich machte es mir auf meinem Stuhl bequem, bis ich eine angenehme Position fand. So saß ich neben ihm, er lag. Minuten vergingen, Gedanken vergingen, Zeit gab es nicht mehr. Eine tiefe Ruhe und Entspannung überkam mich, so mit ihm verbunden. Die Geräusche im Flur ein Teil des Lebens, die uns aber nicht direkt betrafen. Es entstand eine Intimität, eine Nähe, eine Verbundenheit so zart und lebendig, dass mir die Tränen in die Augen traten, an meiner Wange herunter kullerten, auf der Bettdecke endeten. Ohne es zu verstehen, ergab ich mich meinen Gefühlen. Es war Freude. Entzücken. Liebe und auch ein Schmerz. Ein süßer Schmerz. Es gab nur uns beide, im vollen Vertrauen, obwohl wir uns noch nicht lange kannten, wir nicht viel voneinander wussten.

 

Doch in diesem Moment war all dies belanglos, es gab nur diesen einen Moment, diesen Augenblick, verwoben, zeitlos, raumlos.

 

Nachbarinnen schauten herein, eine kleine Frau mit Rollator wollte sich gerne dazu gesellen, sich unterhalten. Doch er öffnete nur kurz seine Augen, schloss sie wieder. Obwohl er lag und zu schlafen schien, tat er das nicht. Er bekam alles mit. Die Pflegerin kam, brachte Kaffee & Kuchen und half ihm beim Trinken. Meine Sorge, dass dies unsere Verbindung unterbrechen könnte, löste sich schnell auf. Unsere Hände waren fest ineinander verschlungen, Halt gebend. Das war alles was zählte. Ich war da, er war da. So einfach, so sanft, so stark. Ich wusste nicht mehr, wer für wen da war, wer dem Halt gab, wer gab und wer empfang. Alles war eins. Nichts war wichtig, außer unserer Verbindung.

Nach einiger Zeit, als es für mich Zeit wurde zu gehen und ich mich langsam verabschiedete, drückte er meine Hand, fest. In dieser Geste lag war alles enthalten, mehr als Worte je hätten ausdrücken können. Dankbarkeit, Abschied, Liebe, Zuversicht, Kraft, Anerkennung. Würde. Autorität. Stärke. Und noch so viel mehr. Alles was er ist oder wer er ist und war, lag in diesem Händedruck.

Langsam und zögerlich erhob ich mich, zog mich an und ging. Als ob ich von dem großen Abschied wusste, ohne es zu wissen. Es war das letzte Mal, dass ich ihn sah.

Es sind diese Momente, die für mich das Leben so unendlich lebenswert machen, die das Leben so heilig machen. In denen ich innehalte und mir bewusst wird, was mir wirklich wichtig ist. Die Liebe, die immer und überall zu erfahren ist, wenn wir uns dafür öffnen, sie zulassen und uns hingeben. Wenn wir uns trauen, dem Leben offen zu begegnen, und den Schmerz sowie die Freude in jedem Augenblick unseres zutiefst menschlichen verletzlichen Daseins ehren.

Mögen wir lernen, mehr aufeinander zuzugehen und uns mit Freundlichkeit und Ehrlichkeit begegnen. Mögen wir mit Würde und Ehrfurcht dem Kreislauf des Lebens begegnen. Mögen wir den Fokus auf das richten, was uns verbindet.